Neues aus dem Arbeitsrecht (Frühjahr 2024)

Das Arbeitsrecht regelt den Prozess von der Stellenausschreibung über die Einstellung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Entsprechend große Aufmerksamkeit verdient das Arbeitsrecht im unternehmerischen Alltag. Die neuesten Entwicklungen in diesem Bereich soll der folgende Beitrag darstellen.

 

1. Der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kommt grundsätzlich ein hoher Beweiswert zu. Um den Beweiswert zu erschüttern, müssen besondere Umstände vorliegen, die den Arbeitgeber berechtigterweise zu Zweifeln an der Richtigkeit der AU-Bescheinigung veranlassen. Ende vergangenen Jahres hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass eine punktgenaue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf den Tag des Wirksamwerdens der Kündigung geeignet sein kann, den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern, insbesondere wenn der Arbeitnehmer am Folgetag arbeitsfähig an seinem neuen Arbeitsplatz bei einem anderen Arbeitgeber erscheint. Der Arbeitgeber kann dann regelmäßig ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen. Gelingt ihm dies, so kann der Arbeitnehmer wiederum sämtliche Umstände vortragen, die seine Arbeitsunfähigkeit belegen. Im Falle des Ausscheidens von Arbeitnehmern ist bei punktgenauer Krankschreibung daher besondere Aufmerksamkeit geboten. Kann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgreich erschüttert werden, entfällt der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung.


2. Kenntnisnahme vom Dienstplan in der Freizeit

Kürzlich hat das Bundesarbeitsgericht zudem entschieden, dass einem Arbeitnehmer auch zuzumuten ist, während seiner Freizeit vom Dienstplan Kenntnis zu nehmen. Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer am letzten Urlaubstag gegen 13 Uhr den aktuellen Dienstplan übersandt. Entgegen der Einteilung erschien der Arbeitnehmer am nächsten Arbeitstag nicht um sechs Uhr. Darin sah das Bundesarbeitsgericht die Verletzung einer nebenvertraglichen Pflicht des Arbeitnehmers.


3. Die „AGG-Hopper“

Sogenannte AGG-Hopper zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich auf zahlreiche Stellen bewerben und dabei oftmals nur rudimentäre Bewerbungsunterlagen einreichen. Dabei stehen Stellenausschreibungen, die den Anforderungen des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) nicht genügen, im Fokus der bundesweit agierenden AGG-Hopper. So bewerben sich beispielweise männliche AGG-Hopper gezielt auf Stellenangebote für „Sekretärinnen“, um dann bei Erfolglosigkeit Schadenersatzansprüche infolge von Diskriminierung geltend zu machen. Der Schadenersatzanspruch beträgt dabei bis zu drei Bruttomonatsgehältern. Dieser Anspruch wird derzeit nur in Ausnahmefällen versagt. So hat etwa das Landesarbeitsgericht Hamm entschieden, dass ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen ohne tatsächliches Interesse an der Stelle den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs erfüllt. Auch das Bundesarbeitsgericht hat bereits Schadenersatzansprüche aufgrund missbräuchlichen Verhaltens versagt. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs greift allerdings nur ein, wenn feststeht, dass der Bewerber lediglich den formalen Status als Bewerber erlangen wollte, um Schadenersatzansprüche geltend zu machen, ohne tatsächliches Interesse an der Stelle zu haben. Aufgrund dessen, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber in erster Instanz vor den Arbeitsgerichten ihre eigenen Kosten jeweils selbst zu tragen haben, entstehen auch einem letztlich obsiegenden Arbeitgeber vermeidbare Kosten. Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, bei Stellenausschreibungen stets die höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten, da die Anforderungen an den Nachweis des Rechtsmissbrauchs derart hoch sind, dass AGG-widrige Stellenausschreibungen auch weiterhin ein echtes Kostenrisiko in sich bergen.


4. Massenentlassungsanzeigen

Massenentlassungsanzeigen können vielfältige Hintergründe haben. Sie kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn Betriebe oder Betriebsteile aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt werden müssen. Die Gestaltung entsprechender Anzeigen ist dabei risikoreich, denn die Vorgaben im Gesetz und der Rechtsprechung an entsprechende Anzeigen sind vielfältig und oftmals schwer umsetzbar. Besondere Brisanz hat dieser Umstand, da die Rechtsprechung bislang davon ausgegangen ist, dass Fehler bei der Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen. Davon will der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts nun abweichen. So soll nicht mehr jeder Fehler zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen, denn letztlich dient die Anzeige lediglich Informations- und Vorbereitungszwecken. Die Frage wurde dem EuGH durch den zweiten Senat zur Entscheidung vorgelegt. Bis zur endgültigen Klärung dieser Frage ist auch weiterhin besondere Sorgfalt bei der Formulierung von Massenentlassungsanzeigen geboten.


5. Das Hinweisgeberschutzgesetz

Bereits zum Ende des vergangenen Jahres haben wir Ihnen das Hinweisgeberschutzgesetz vorgestellt. Im Wesentlichen sind Arbeitgeber verpflichtet, ab 50 Beschäftigten eine interne Meldestelle einzurichten. So sollen Missstände im Unternehmen vertraulich gemeldet werden können, um eine unternehmensinterne Klärung herbeizuführen. Arbeitgeber sind dabei aber auch verpflichtet auf die externe Meldestelle des Bundes hinzuweisen. Wie und in welcher Gestalt der Hinweis zu erfolgen hat, bestimmt der Gesetzgeber nur abstrakt („klare und leicht zugängliche Informationen“). Zudem erscheint die Errichtung einer externen Meldestelle kontraproduktiv, wenn das Hinweisgeberschutzgesetz gerade eine interne Regelung von Missständen ermöglichen will.


6. Das Nachweisgesetz - Neuerungen durch das vierte Bürokratieentlastungsgesetz

Das Nachweisgesetz gibt es bereits seit 1995. Seit August 2022 sind Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer zahlreiche Informationen schriftlich zur Verfügung zu stellen, die über den üblichen Inhalt eines Arbeitsvertrags hinausgehen. So sind etwa Arbeitszeiten, Ruhepausen, Schichtsysteme und gesetzliche Kündigungsvoraussetzungen schriftlich darzulegen und zu erläutern. Nimmt man diese Informationen in den Arbeitsvertrag auf, verlieren Arbeitgeber diesbezüglich ihr einseitiges Direktionsrecht. Änderungen der Arbeitszeit, der Ruhepausen oder der Schichtsysteme sind dann nur noch mit (schriftlicher) Zustimmung des Arbeitsnehmers oder durch Änderungskündigung möglich. Neuerungen in diesem Bereich bringt das jüngst beschlossene vierte Bürokratieentlastungsgesetz. Demnach soll der Nachweis auch durch den elektronischen Abschluss eines Arbeitsvertrags mithilfe einer qualifizierten elektronische Signatur möglich sein, sofern der Arbeitsvertrag die erforderlichen Angaben enthält. Fraglich ist allerdings, wie praxisnah diese Regelung ist. Den wenigsten Arbeitnehmern steht die Infrastruktur zur qualifizierten elektronischen Signierung von Dokumenten zur Verfügung. Auch die Erteilung von Arbeitszeugnissen ist zukünftig mittels qualifizierter elektronischer Signatur möglich. Ob die Praxis tatsächlich dazu übergeht oder bei der üblichen Unterschrift bleibt, wird sich in den kommenden Monaten und Jahren zeigen.


7. Die Reform des Arbeitszeitgesetzes

Für 2024 ist außerdem die Reform des Arbeitszeitgesetzes geplant. Ein Referentenentwurf liegt bereits vor. Arbeitgeber sind nach der Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts bereits jetzt verpflichtet, objektive, verlässliche und zugängliche Systeme für die Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten einzusetzen. Künftig soll dies auch gesetzlich verankert werden. Damit sind Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Arbeitszeit ist dabei die Zeit von Beginn bis Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. So soll die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und Pausen gewährleistet werden. Die Arbeitszeiterfassung kann auf den Arbeitnehmer delegiert werden. Letztlich verantwortlich ist aber der Arbeitgeber. Die Arbeitszeitnachweise müssen grundsätzlich für zwei Jahre aufbewahrt werden. Der Referentenentwurf sieht eine elektronische Arbeitszeiterfassung vor, z.B. Zeiterfassungssysteme, auch Apps oder klassische Excel-Listen. Nicht zulässig ist die handschriftliche Aufzeichnung und nachträgliche Digitalisierung. Ausnahmen gelten nur für Arbeitgeber mit weniger als zehn Angestellten. Für Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern soll für die elektronische Zeiterfassung allerdings eine Übergangsfrist von fünf Jahren gelten. Für Arbeitgeber mit mindestens 50 und weniger als 250 Arbeitnehmern beträgt die vorgesehene Übergangsfrist zwei Jahre. Zudem soll die Arbeitszeiterfassung immer am Tag der Arbeitsleistung erfolgen. Abweichungen hiervon sollen nur durch Tarifvertrag möglich sein. Ausgenommen von der Arbeitszeiterfassung können Führungskräfte, Wissenschaftler und leitende Angestellte sein. Verstöße gegen das Gesetz sollen mit bis zu EUR 30.000,00 Bußgeld bewährt werden können.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Arbeitsrecht erneut von zahlreichen neuen und spannenden Entwicklungen geprägt ist. Der Arbeitnehmerschutz bietet für Arbeitgeber allerdings auch bürokratische Herausforderungen. Ob und wie eine Entbürokratisierung bei gleichzeitiger Gewährung eines hohen Arbeitnehmerschutzniveaus gewährleistet werden kann, bleibt abzuwarten. Möglicherweise kann die Digitalisierung hier eine tragende Rolle übernehmen.